Leere Leinwand

Was soll ich malen? Was wäre heute dran? Was will diese weiße Leinwand von mir? Was sol ich malen? Was wär heute dran? Was will gemalt werden? Wo ist es?

Diese viereckige Fläche, dieses ekelhafte, aufdringliche Nichts, diese gierig geile Leere, die nach Füllung geifert?
Ich sitze, stehe, kniee davor, es kommt nichts! Warum hör ich nicht auf zu malen? Alle anderen haben es doch auch geschafft! Warum ich nicht? Warum bin ich nicht Hausmeister geworden? Getränkewart, Schuhputzer oder BoFrostMann?

Und alle sitzen mir im Nacken: Rembrandt, Dürer, Picasso, Renoir, van Gogh, Schiele, Klimt, Kandinsky, Nolde! NOLDE! NOLDE! NOLDEEEEE!!!!

Schauspieler kennen das Lampenfieber. Sie stehen vor ihrem Auftritt hinter der Kulisse und verfluchen jeden, der sie dahingestellt hat! Der Maler hat das Pinselfieber, den Horror vacui vor der leeren Leinwand. Von wegen: Weiß ist die Farbe der Unschuld! Es ist die Farbe der 1000 Tode, die jeder Maler schon 100derte Male gestorben ist und umgekehrt.

„Los, Rückert“ (ich spreche oft laut mit mir, dabei benutze ich nie meinen Vornamen. Der von mir selbst zu mir selber am häufigsten laut gesprochene Satz lautet: „Malt ein Rückert so eine Scheiße?“, aber soweit bin ich ja noch gar nicht. ) „Los, Rückert! Nimm den Pinsel, Farbe, hab eine gottverdammte Idee, und:
FANG ENDLICH AN!!!“

Die Zeit vergeht, ich habe dann mal das Atelier gesaugt, dabei die Spinnweben entdeckt, bin mit dem Sauger in jede kleinste Ecke, habe alles umgeräumt, die Spüle gereinigt war Einkaufen, bin ein paar Tage zur Nordsee gefahren, muss noch mal eben mit dem Hund raus, mir fällt ein: Ich hab ja gar keinen Hund, wo krieg ich jetzt einen Hund her? Vielleicht mal zum Tierheim fahren. Hab mich dann doch für eine Katze entschieden, musste sie nach zwei Wochen wieder zurückbringen, weil sich meine Sittiche bedroht fühlten und burnout kriegten.

Und die Leinwand ist immer noch weiß! Sie steht auf der Staffelei und flüstert: Nimm mich! Gibs mir! Mach mich lang! Zeig deine Eier! Ich will dich bluten sehen! Und mach es mir richtig! Keinen Kitsch, keine süßlichen Effekte, lass alles Modische weg, ich will die Wahrheit, hebe das Jahrhundert aus den Angeln!

Eyyy! Du Scheiß Leinwand!! Willst du mir Druck machen?

JAAA! DAS WILL ICH!!! DU BRAUCHST DAS! UND JETZT BEWEGE DEINEN ARSCH!

(Kleines musikalisches Zwischenspiel)

Zu meiner 1. Heiligen Kommunion wurde mir endlich ein Fahrrad versprochen. Alle Kumpels hatten schon eins. Nur ich nicht. Außerdem ein Kommunionsanzug mit langer Hose. Und was war: Kein Fahrrad! Keine lange Hose!
Dafür einen lächerlichen Pisspotthaarschnitt. Alle Verwandten brachten irrsinnige Mengen von Primeln mit! Was sollte ich mit Primeln!!

Heute noch habe ich körperliche Reaktionen von Heulkrämpfen bis hin zu gallertartigem Ausschlag, wenn ich Priiiimeln sehe! Erst seit ich aus Primeln ein Verb gemacht habe, geht es besser. Gehen wir ne Runde primeln, was primelst du da eigentlich so rum, hab schon wieder eine ganze Nacht durchgeprimelt, ich primel nur noch dreimal am Tag, früher hab ich mich ja schon vorm Frühstück komplett zugeprimelt, übers Wochenende muss ich noch einiges wegprimeln, Runterprimeln für Fortgeschrittene an der Volkshochschule Hückeswagen, auch für Querprimler geeignet, etc ...

Was blieb mir: Ich konnte mich nur noch in eine Ecke verziehen und malen. Nur malend konnte ich schon immer mein Elend ertragen. Herr, gib mir Farben und lass mich malen!!

Sie entschuldigen mich, ich muss mal eben in meinen Eimer.

(Ausdruckstanz mit Eimer überm Kopf, dazu Musik, evtl. auch mit Gesang)

Hindus im Kanal
Betende Füße
Weihnachten im Puff
Gefleckte Frau mit Alligator
Russe vorm Rewe
Hörner sind sinnlos
Lila Elefant in Bad Pyrmont
Es werden wieder Zwerge gesichtet
Mein Name sei Tönig
Der Katzenwerfer von Horstmar
Berghofener Sensenweihe
Warten auf den Bingomann
Im Keller der Wahrheit
Toter Hund am Bahndamm

TOTER HUND AM BAHNDAMM!
Das ist es doch! Das ist das Motiv! Hier ist alles drin, Der Tod als Meister der Endlichkeit, die Einsamkeit als düsteres Versprechen für das Ende alles Lebendigen, der Bahndamm als Symbol für „unterwegs sein“, für die Reise der Menschheit ins Ungewisse des Hineingeworfenseins, die gleichgültige Natur, das gebrochene Auge, Erde zu Erde, Eisen auf Eisen, Schwester unter Bruder, Primeln auf den Misthaufen.....

Ich fang einfach mal mit dem Auge an. Der weitere Hund ergibt sich von selbst, ich deute einen Horizont an, unten links braucht die Sache anständig Karminrot, reines Ultramarin auf die Schienen, Halt! Stopp! Ocker! Der Bahndamm braucht ocker! Ocker für den Bahndamm! Auch Ocker gäbe ein schönes Verb ab: Mal eben am Bahnhof vorbeiockern. Vollgeprimelt sollte man nicht zu Hause ockern. Ich schweife ab und sehe: Das taugt nichts, das sieht irgendwie so unlebendig aus. So tot!

(Gitarrenriff)

MALT EIN RÜCKERT SO EINE SCHEISSE?

Entschuldigung, ich muss noch mal in den Ideeneimer.
(Ausdruckstanz mit Eimer überm Kopf, dazu Musik, evtl. auch mit Gesang)

Nach der Kommunion kam ich in die Kinderlandverschickung für Bergarbeiterkinder in ein Kindererholungsheim der Arbeiterwohlfahrt. Wer Mist gebaut hatte, musste zur Strafe stundenlang mit dem Eimer über dem Kopf in der Ecke stehen. In dieser Ecke kamen mir die besten Ideen. Die Phantasie bekam Flügel. Diesen Eimer habe ich mir damals heimlich mitgenommen. (Auf dem Eimer muss AWO stehen)

(Evtl. unterm Eimer geschrien)
Es geht weiter! Aus dem Bahndamm wird eine Häuserzeile, aus dem Hund werden drei Hühner, Häuserzeile weg, noch 5 Hühner dazu, nein, es sind zu viele Hühner, male wieder 6 Hühner weg, die 2 übriggebliebenen sehen wie Übriggebliebene aus, weg damit, Gelb! GELB!GELB! Es wird alles zugegelbt, ich lasse noch ein paar Farben stehen, das Karminrot, oben links eine Ecke Ultramarin.

(Jetzt ohne Eimer)

Ich habe eine gelbe Fläche mit Farbfeldern, das ist abstrakt, ich bin kein abstrakt, ich kann kein abstrakt, ich werde kein abstrakt, abstrakt ist dekorativ, so etwas hängt in Gourmet-Restaurants und Psychologen-Wartezimmern, Hundertwasser beim Zahnarzt, Mondrian auf Ikea-Bettwäsche, Jackson Pollock auf Klobrillen,Picasso auf Henkeltasse, da will ich nicht enden. Ich muss was tun!

(Nochmal kurz in den Eimer)

Plötzlich die bescheuerte Idee: Ich male einfach ein paar Klaviertasten dazu, der Galerist wollte was mit Musik. Es wurden zu viele Klaviertasten, einige mussten zu den Hühnern, ich komme in eine schwermütige Stimmung.

(Kleines Solo Jonas)

Ich skizziere mal ins Unreine einfach mit ein paar Strichen einen Klavierspieler mit komischer Mütze auf das Bild, mal sehen, was sich daraus ergeben kann. Sieht nicht schlecht aus. Vielleicht könnte ich auch außerdem unten rechts noch mal den toten Hund. Aber in dem Moment kommt der Galerist vorbei, reißt mir das Bild aus den Händen und schreit: Ja! Das ist das richtige Motiv für die Einladung, das Plakat, Internet, Facebook, Presse. Genau das wollen die Leute sehen!

Falls jemand dieses Bild kaufen sollte, bitte ich ihn um 2 Dinge:
1.: Nich den Preis runterhandeln, schließlich sind da auch noch 8 Hühner mit drin,
2.: damit kurz in meinem Atelier vorbeizukommen, damit ich unten rechts noch den toten Hund reinmalen kann.

Danke