Fernsehbesuch

Gestern war das Fernsehen in meinem Atelier. Es ging um ein kurzes zweiminütiges Interview wegen der heutigen Ausstellung. Fernsehen im Atelier bedeutet zunächst eine Invasion von: Ein Journalist für die Fragen, ein Produktionsassistent mit einem Klemmbrett, einem Laptop, 3 Handys und 10 Kugelschreibern, ein Kameramann nebst Ausrüstung, eine Maskenbildnerin für alle Fälle, ein Tontechniker nebst Ausrüstung und ein Beleuchter mit entsprechenden Gerätschaften. Alle die und all das in einem Raum, der früher mal eine Garage war und in dem außer mir eigentlich keiner was zu suchen hat.

Der Tontechniker klemmte sich mit seinen Geräten neben den Abfalleimer unter den Zeichentisch. Auf dem Zeichentisch kniete der Beleuchter und musste die Lampen selber halten, weil für die Stative kein Platz war. Der Produktionsassistent, dessen Funktion mir völlig schleierhaft war, drückte sich ständig wie ein aufgestörtes Schlossgespenst in irgendwelchen Restecken herum, weil er ja nie im Bild auftauchen durfte.

Dann gab es noch einen kleinen Hohlraum zwischen Grafikschrank, Heizkörper und Regal, in dem außer Gerümpel hunderte von langbeinigen Spinnen wohnten. Da zwängte sich die zum Glück unterernährte Maskenbildnerin hinein. Irgendwie merkten die Spinnen, dass da was nicht stimmte und sie hetzten über die Wände, unter der Decke her, flitzten über Tisch, Stühle, Staffelei, versuchten, sich hinter der Jalousie abzuseilen usw, auf der panischen Flucht nach neuen Schlupflöchern.

Zwischen den Atelierspinnen und mir gibt so eine Art Abkommen: Ihr macht euch unsichtbar und stört mich nicht und ich lass euch bis auf einen Tag im Jahr in Ruhe. Nur einmal in jedem Jahr gehe ich mit dem Staubsauger auf eine gnadenlose Jagd nach Spinnweben und ihren Verursachern. Da bleibt kein Stein auf dem anderen, da bleibt kein Auge trocken, da werden keine Gefangenen gemacht. Die Mehrbeiner und Vielaugen wissen das und richten sich entsprechend darauf ein. Aber diesmal blieb mir nichts anderes übrig, als den Staubsauger außer der Reihe zu holen, was die Spinnen völlig unvorbereitet traf. Gut, dass die nicht schreien können.

Später, es war inzwischen auch gelungen, die in eine komatöse Ohnmacht gefallene Maskenbildnerin zu reanimieren, konnte es also losgehen.

Ich sag: Gut, alles klar, Sie stellen die Fragen, ich antworte.
Nee Nee, sagt der Reporter, so einfach geht das nicht. Wir haben uns das so gedacht, dass es so aussehen soll, als wären wir zufällig vorbeigekommen, während Sie hier am arbeiten sind. Das soll ganz locker aussehen.

Ich: Das mit dem Zufällig, das glaubt Ihnen doch kein Mensch.

Er: Ha, Ha. Sie glauben gar nicht, was dem Fernsehen alles geglaubt wird.

Ich: Und was, bitte schön, soll das heißen, während ich hier am Arbeiten bin?

Er: Ja, das was Sie normalerweise so machen, wenn Sie arbeiten.

Ich: Das kann alles Mögliche sein. Wenn ich nachdenken muss, weil ein Bild nicht dahin will, wo ich hin will, dann geh ich auch schon mal mit einer Flasche Sekt in die Badewanne. Das sieht dann locker aus, ist aber harte Arbeit.

Der Produktionsassistent: Soll ich ne Badewanne kommen lassen?

Er: Ich meinte mehr so Malen, dass Sie an einem Bild malen, so was in der Art.

Ich: Das soll also so aussehen, als wär ich am malen?

Er: Ja, so in der Art. Sie müssen ja nicht wirklich malen. Sie müssen nur so tun, als würden Sie malen. Verstehen Sie nicht, was wir hier machen? Wir machen Fernsehen! Fernsehen ist nur so was ähnliches wie die Wahrheit.

Ich: Ich soll so tun, als würd ich malen, ja? Also rein pantomimisch oder wie?

Er: Nein, Sie sollen schon mit Farbe und Pinsel auf der Leinwand was malen.

Ich: Wenn ich mit Pinsel und Farbe auf der Leinwand etwas male, dann tu ich nicht so, als würd ich malen, dann male ich.

Er: Ja, dann malen Sie eben.

Ich: Ich kann nicht einfach eben irgendwas malen. Da muss ich erstmal in die Badewanne und auf eine Eingebung warten. Das kann dauern. Wenn ich Pech hab, 3 Wochen.

Er: Es ist doch nur für die Show. Ich meine, wie sieht das denn im Normalfall aus, wenn Sie malen?

Ich: Wissen Sie was: Normalerweise zieh ich mich nackend aus, reiß alle Fenster auf, lege Heavy-Metal in voller Lautstärke auf, schmeiß mir laut brüllend ein Bärenfell über, leere eine Wodkaflasche auf Ex, ritze mir mit einer Glasscherbe eine Schramme in die Stirn, stecke mir eine Feder in den Arsch und traktiere mit wüsten Pinselschlägen mit Farbe, Rotz, Blut und Tränen die Leinwand.

Er: Ja, mhm, jaa....Das hörtt sich doch ganz praktikabel an...

Ich: Hallo!?! Das war ein Scherz!

Er: Das macht nichts. Wo ist denn das Bärenfell?

Ich: Ich hab kein Bärenfell.

Er: Das macht nichts. Wir besorgen eins.

Ich: Hörnse mal: Malen heißt Kunst. Kunst heißt: Die lebenslange Verfolgung eines nicht formulierbaren Gedankens. Die ewige Visualisierung der Transzendierung des verilen Großen und Ganzen.

Er: Ja, wunderbar, dann fangen Sie doch einfach mal an damit.

Ich: Wissen Sie was? Genau das mach ich jetzt.

Ich stellte mich vor die Staffelei, schloss die Augen, tunkte einen dicken Borstenpinsel in sattes Rot, drehte mich mit dem Rücken zur Leinwand und pinselte hinter meinen Rücken drauflos. Ich zieh die Schuhe aus, spring mit den Füßen in die Farbe und dann gegen die Staffelei. Die kippt um und trifft den Beleuchter am Hinterkopf, ich wälze mich laut „Mama“ schreiend auf dem Boden herum, mir war jetzt alles egal.

Er: Wie sind sie zur Malerei gekommen?

Ich: (während ich mit dem Messer auf die Leinwand losgehe)
Ich bin überhaupt nicht zur Malerei gekommen, die Malerei ist zu mir gekommen. Sie war eine große blonde Frau mit großen Titten und war meine Kindergärtnerin.

Er: Sie haben schon als Kind gemalt?

Ich: Wir haben alle als Kind gemalt, die anderen haben alle irgendwann damit aufgehört, ich hab leider den Absprung verpasst!

Im Hintergrund fing der Kameramann hektisch an zu winken und rief Stopp! Aufhören!

Ich: Fresse halten! Hol Wodka!

Er: Wo haben Sie die nächste Ausstellung?

Ich: In Wamel!

Er: Wo?

Ich: In Wamel!

Er: Wat?

Der Produktionsassistent: Welche Farbe soll das Bärenfell haben?

Ich: Wamel an der Möhne: Möhnesee-Wamel!

Er: Häh?

Der Kameramann: Darf ich mal eben was sagen.

Er: Nein! Wo waren wir stehengeblieben?

Ich: In Wamel!

Er: Was haben sie zum Teufel immer mit diesem Wamel?

Ich: Sie kennen Wamel nicht? Wamel ist das Schwungrad der internationalen Grafik, das El Dorado der Druckkunst, der Wallfahrtsort der Lithografen und Radierer, die Abtei der heiligen Aquatinta!

Er: (Zum Kameramann) Was ist los? Was machst du hier fürVerrenkungen?

Kameramann: Wir müssen aufhören, in der Kamera ist der Akku schon lange alle.

Er: Dann bau einen neuen ein.


Kameramann: Das geht nicht!

Er: Wieso nicht?

Kameramann: Wir haben keinen Ersatzakku dabei.

Er: Das heißt. Wir haben nichts? Kein Bild, keinen Ton?

Kameramann: Exakt!

Ich: Was soll das heißen: Kein Bild, kein Ton? Heißt das: Es gibt gar keinen Beitrag im Fernsehen? Dabei habe ich doch noch gar nichts gesagt über das wunderbare Abenteuer Kunst, über die Okkupierung des Optischen durch die Werbung und die Bedeutung der Handarbeit für das 21. Jahrhundert. Nichts?

Er: So isses. Nix für ungut, wir hauen wieder ab. Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal.

Und weg waren sie. Ein halbe Stunde später klopft es an meiner Ateliertür. Steht da ein Kerl und sagt:
Ich soll hier ein 2 Flaschen Wodka, eine Badewanne und ein Bärenfell abgeben.